Arno Beck
SURPRIZE
Kunsthalle Düsseldorf
5.9.–1.11.2020

Im Maschinenraum des Digitalen

Wenn es um quantifizierbare Kategorien wie Schnelligkeit, Genauigkeit, Menge und Wiederholbarkeit geht, ist der alte Kampf zwischen Hand und Maschine längst und unumkehrbar entschieden. Kein Mensch ist mehr in der Lage auch nur im Entferntesten den von Rechnern gesteuerten automatisierten Produktionsprozessen noch Paroli zu bieten. Etwas anders sieht es allerdings im Feld des Ästhetischen aus, wo man mit reinen Quantitäten zwar Masse, aber eben keine Klasse erzeugt. Mehr oder weniger gilt insofern im Reich der Kunst und ihrer Bilder noch gemeinhin die Überzeugung von der Überlegenheit der durch den künstlerischen Geist geführten Hand, die ein einmaliges Ergebnis schafft, das kein noch so hochgerüsteter digitaler Rechner bisher rein aus sich selbst erzeugen kann. Aber der Abstand wird auch hier kleiner. 2018 wurde ein ausschließlich durch einen Algorithmus angefertigtes Kunstwerk auf einer Kunstauktion immerhin für 432.000 Dollar versteigert. Erstaunlich war dabei weniger der erzielte Preis, als die Methode, derer sich der Rechner bediente, um zu einem kunstmarktkompatiblen Ergebnis zu kommen. Auf der Basis eines Datensatzes von 15.000 gemalten Porträts vom 14. bis zum 20. Jahrhundert erzeugte er solange Bilder, bis ein konkurrierender Teil des Algorithmus eines der so entstandenen Werke für ein vom Menschen geschaffenes Bild hielt. Innerhalb dieses von dem Pariser Kollektiv „Obvious“ gesteuerten Experimentes musste die Maschine also sozusagen ihre eigene digitale Logik desavouieren, um ein Kunstwerk zu erzeugen, das nicht maschinell wirkt.

Jenseits der Frage, wann die Maschinen intelligent genug sein werden, um selbst genuin künstlerische Werke zu erzeugen, hat sich die Kunst seit jeher mit jeder für sie relevanten technischen Errungenschaft auseinandergesetzt, um ihre Auswirkungen, Herausforderungen und Chancen für die eigene Disziplin zu erforschen. Insbesondere für die Malerei haben sich auf diese Weise durch die Erfindung der Fotografie, des Films und der Computertechnologie fundamentale Veränderungen ergeben, die im Sinne Marshall Mc Luhans Diktum „The Medium is the Message“ ebenso sehr die mediale Sprache des gemalten Bildes, wie seine Inhalte betreffen.

In diesem Feld bewegt sich auch Arno Beck, der sich ungeachtet der Tatsache, dass in seinen Bildern kaum Spuren konventioneller Malerei zu finden sind, selbst durchaus als Maler sieht. Was ihn vor allem interessiert, ist die Übertragung von digitalen Strukturen und Formelementen auf die Ebene des analogen Bildes, also gewissermaßen eine Rückübersetzung der körperlos-geisterhaften, binären Codierungen des Computers auf die Ebene des Haptischen.

Zunächst ordnet er sich damit in eine ganze Phalanx von Malern ein, die sich in ihrer Arbeit intensiv mit der Struktur von Computerbildern auseinandergesetzt haben. Genannt werden sollen hier stellvertretend nur zwei. Albert Oehlen hat in seinen sogenannten Bionischen Bildern (ab 1990) eine ganze Werkgruppe auf der Basis eines simplen Grafikprogramms von Texas Instruments entwickelt. Mit diesem Programm erzeugte er etwa 10–15 digitale Grundmuster, die er in unterschiedlichen Kombinationen, inklusive ihrer groben Pixelrasterung und etwaigen JEPG-Fehlern als Siebdrucke auf die Leinwand übertrug und dort mit zusätzlichen malerischen Eingriffe versah. Auch aus heutiger Sicht virulent ist diese Bildgruppe, weil sie sich eben weniger als eine Art Selbstauflösung der Malerei in Richtung digitaler Bildpraxis verstehen lässt, sondern mehr als Erprobung der damaligen Grenzen des Computerprogramms. Wer auf die ungelenken Schwarz-weiß-Pixel des Bildprogramms schaut, dem mutet der parallel auf dem Bild erprobte Pinselduktus in seiner fließenden Eleganz geradezu visionär an.

Nur wenige Jahre später bezieht sich Michael Majerus (1967- 2002) als einer der ersten seiner Generation systematisch auf die Bildwelt der Massenmedien. In seinen Bildern und raumfüllenden Installationen sampelt und mixt er hemmungslos Elemente aus der Kunstgeschichte, Werbung, Fernsehunterhaltung und digitalen Quellen. Sein monumentales Bild „Space Invaders“ (2002) setzte einem der ersten Computerspiele ein Denkmal, das mit seinen abstrakt wirkenden weißen Zeichenclustern auf tiefschwarzer Leinwand heute so fremd wirkt, als würde man rätselnd vor aztekischen Hieroglyphen stehen. Ungewollt zeigen beide Beispiele eine der zentralen Paradoxien des Medienzeitalters, wonach nichts so schnell alt aussieht, wie die jeweils avancierteste Technik.

Von Arno Beck unterscheiden sich beide dadurch, dass sie jeweils auf die damals aktuelle mediale Lage reagierten, während Beck seine Untersuchungen ganz bewusst nicht auf die hochdigitalisierte Gegenwart bezieht, sondern seine Referenzebene in der Frühphase der digitalen Bildprogramme sucht. Darin steckt ausdrücklich kein mediennostalgisches Interesse. Was diese Bildwelt antreibt ist vielmehr ein gewissermaßen medienarchäologischer Impuls, das Digitale da zu untersuchen, wo es sich ganz roh und elementar und im Sinne des Wortes unraffiniert in seiner ganzen maschinellen Binär-Struktur zeigt, und damit ‑quasi skelettiert — in einem grundsätzlichen Sinne kenntlich und lesbar wird.

Mit seinen großformatigen Holzdrucken (2015–2017) und seinen Schreibmaschinen-Arbeiten (ab 2015) ist ihm dabei insofern ein Coup gelungen, weil seine Medienanalyse mit einer vertrackten Widersprüchlichkeit arbeitet, die ebenso weit davon entfernt ist, analoge Bildpraxis romantisch zu verklären, wie sie sich auf der anderen Seite davor hütet ungebremst dem kühlen Diktat des Technoimaginären zu huldigen. Was ihn von klassischen post-digital-Künstlern unterscheidet, ist vor allem die skrupulöse Intensität und Präzision, mit der er das Digitale nicht einfach als das Gegebene nimmt, sondern als einen Ausgangspunkt aus dem heraus die vom Rechner erzeugten Bilder gegen analoge Bildpraktiken antreten, die so weit ins Absurde übersteigert werden, bis sie selbst die vermeintliche subjektive Authentizität verlieren, welche man ihnen eigentlich nachsagt.

In seinen großformatigen farbigen Holzdrucken kombiniert Beck Elemente aus Grafikprogrammen, Computerspielen, (beispielsweise Super Mario das auch für Michel Majerus eine große Rolle spielte) mit Zitaten aus der Kunstgeschichte und erzeugt damit einerseits eine komplett mit digitaler Zeichenstruktur aufgeladene Benutzeroberfläche, die er andererseits mit einer Holzdrucktechnik kombiniert, welche aufwändig zu nennen, vermutlich die Untertreibung schlechthin wäre. Jeder seiner 170 x 125 Zentimeter großen Holzdrucke entsteht nicht etwas als Abzug von einer kompakten Holzplatte, sondern aus jeweils exakt 10.800 Einzelklötzchen, die eingefärbt mit den 32 Farben, welche der Gameboy darstellen kann, für einen einzigen Abzug zu einem fragilen Ganzen zusammengefügt werden, und danach wieder in ihre Einzelteile zerfallen. Jedes der Einzelklötzchen, die Arno Beck in mühevoller Kleinarbeit selbst zurechtgesägt hat, entspricht dabei jeweils einem Bildpixel. Man kann also ohne weiteres sagen, dass der Künstler die Reproduktionstechnik des Holzdrucks so weit dehnt, bis sie den digitalen Code auf eine Weise nachahmt, die ihn in zugleich kollabieren lässt. Abgesehen davon, dass Beck damit eine Technik, welche die Bildproduktion schneller und wiederholbar machen sollte, soweit verlangsamt, dass sie beinahe zum Stillstand kommt, betont er implizit mit seinen akribisch handgefertigten, dabei aber auch einer quasi maschinellen Produktionslogik folgenden Pixelklötzchen auch eine generische Verwandtschaft zwischen diesen scheinbar so unterschiedlichen Bildmedien.

In seinem legendären Buch Grammophon, Film, Typewriter, das auf eine fulminant spekulative Weise die Verbindung zwischen den im Titel genannten Aufzeichnungssystemen und der beginnenden digitalen Standardisierung zeigte, hatte Friedrich Kittler bereits 1986 angemerkt: „In ihrem Grenzbereich betrieben, werden auch veraltete Medien empfindlich genug, um die Zeichen und Indizien einer Lage zu registrieren“ (1). Gemeint war damit, dass sich in den oben genannten Medien, die Kittler als erste Medien sah, welche die Technisierung von Information ermöglichten, schon eine Vorform der „zahl‑, bild‑, ton- und wortlosen“ (2) Null-Eins-Struktur des Computerzeitalters verbarg, das schlussendlich nicht nur definiert, was wirklich ist, sondern dabei über „Ästhetik immer schon hinaus“ ist (3).

Wie stark Arno Beck dieses Moment der Technisierung von Information in seinen Arbeiten nicht nur mitdenkt, sondern diese sogar ganz explizit auch auf den eigenen Körper und seinen künstlerischen Arbeitsprozess überträgt, zeigt die Art und Weise, wie seine Schreibmaschinenbilder entstehen, besonders deutlich. Nachdem die Bildfläche durch ein regelmäßiges Raster aus Plus-Zeichen gegliedert ist, werden die Motive, die oft — beispielsweise in Hunter & Gatherer (2019), Accumulation I und II (2019) oder They don´t make these anymore (2019) – wie in einer Toolbox als Musterkollektion vor uns ausgebreitet sind, mit einem begrenzten Repertoire von 6–8 Schreibmaschinenbuchstaben übertragen. Die Schattierungen in der so erzeugten, händisch hergestellten Pixelstruktur wechseln, je nachdem, wieviele dieser Buchstaben in einem Bildquadrat übereinander getippt werden. Das dunkelste Quadrat entsteht durch die Überlagerung von w, x, m und Pluszeichen, das hellste Quadrat durch das Tippen eines einzelnen Punktes. Interessant sind bei dieser Übertragung gleich mehrere Aspekte. Zum einen, dass sich Beck mit der Schreibmaschine eines Aufzeichnungs-Instrumentes bedient, dessen erste massenhaft fabrizierten Exemplare von der Gewehrfabrik Remington & Sons produziert wurden, womit der Anschlag einer Schreibmaschinentaste und die Schussfolge eines Maschinengewehrs strukturell auf eine vergleichbare Ebene gerückt werden. Damit wird implizit nicht nur deutlich, dass Aufzeichnungssysteme stets auch als Waffen begriffen werden können. Vielmehr zeigt sich darin schon eine Vorstufe zu unserer heutigen Realität, deren wahre Kriege längst zwischen Daten und Informationsströmen ausgefochten werden. Zum anderen macht die Beck´sche Übertragungs-Systematik deutlich, dass die Schreibmaschine insofern als analoge Vorstufe zum Computer gesehen werden kann, als sie im Gegensatz zum Fluss der Handschrift auf diskreten durch Spatien getrennten Elementen beruht. Zudem setzt Arno Beck in der Produktion seiner jeweils nur als Unikate existierenden Schreibmaschinenzeichnungen genau die Engführung um, die in dem englischen Begriff „Typewriter“ schon enthalten ist, nämlich die Tatsache, dass in diesem Wort die Maschine mit dem — in der Regel damals weiblichen — Maschinisten in eins fällt. Entsprechend hat sich Beck in Interviews selbst schon als „der menschliche Drucker“ bezeichnet, und agiert auch in diesen Arbeiten als eine auf mechanische Marathonleistung reduzierte Schreibmaschine, die mit ihren zigtausenden von monoton getippten Buchstaben keinen Sinn, sondern das reine Rauschen der Zeichen erzeugen will.

Zu den Zielen seiner Arbeit gefragt, hat Beck wiederholt gesagt, ihn interessiere das Moment der physischen Materialisierung. Er wolle das auf dem Bildschirm Gesehene in den Raum bringen und greifbar machen. „Dieses in die Hände bekommen ist ein zentraler Aspekt, der mich fasziniert“. Das ist zweifellos ein sichtbarer und in den Arbeiten ablesbarer Antrieb, zumal, wenn man sich noch einmal vergegenwärtigt, dass digital im lateinischen Original ursprünglich „mit Hilfe des Fingers erfolgend“ bedeutet. Bezieht man aber beispielsweise Heideggers 1942/43 erschienene Notizen zur Schreibmaschine in die Überlegungen ein, drängt sich eventuell noch ein anderer Aspekt auf. Denn dort spricht Heidegger nicht nur davon, dass die Schreibmaschine den Einbruch des Mechanismus in den Bereich des Wortes darstellt, sondern auch davon, dass sie „die Schrift dem Wesensbereich der Hand entreißt“ (4).

Insofern scheint es mir so, als sei Arno Beck in den Tiefen seines hochinteressanten künstlerischen Projektes nicht nur davon bewegt, den Körper, die Hand und ihren subjektiven Ausdruck im Digitalen wieder aufleben zu lassen, sondern ebenso davon, das Maschinelle in Hand und Körper spürbar zu machen. Wenn das stimmen sollte, bestünde die Virulenz dieser Haltung darin, dass Beck dieses Moment der Widersprüchlichkeit nicht harmonisiert, sondern als offenen Konflikt gestaltet, indem er an seinen Arbeiten zeigt, wie sich heute in die Materialität jedes noch so skrupulös, langsam und händisch gefertigten Unikats, bereits unauflöslich die Signatur des Digitalen eingeschrieben hat.

Stephan Berg (Direktor Kunstmuseum Bonn)

(1) Friedrich Kittler: Grammophon, Film, Typewriter, Berlin 1986, S.4
(2) Ebd., S.8
(3) Ebd., S.10
(4) Martin Heidegger: Gesamtausgabe II, Abteilung Vorlesungen 1923–1944, Bd.54, Frankfurt/M, 1982, S. 125f.

Installation View
„SURPRIZE“
Kunsthalle Düsseldorf
Foto Credits: Katja Illner